Rabattschlachten an Weihnachten
So stand es auf einer Einkaufstasche, die als Bild vor einigen Jahren im Schwäbischen Tagblatt als Kommentar eines Lesers zu der Palmer-Initiative für einen erweiterten Sonntagverkauf der städtischen Einzelhändler erschien. Es ging unter anderem darum, den Online-Händlern Paroli zu bieten. Frei übersetzt hieß es in der Bild-Unterschrift zum Slogan: „Kauft mehr Mist, sonst geht’s uns allen an den Kragen“.
Am 12.11.2019 meldete ebenfalls das Tagblatt, dass die Online-Handelsplattform Alibaba, das chinesische Pendant zu Amazon, einen neuen Umsatzrekord aufgestellt hat. Innerhalb einer Sekunde wurden 544.000 Einkäufe getätigt. Nach nur 68 Sekunden, so meldete der Focus, wurde die Marke von einer Milliarde Dollar Umsatz geknackt. Insgesamt wurden am 11. November, dem „Singles Day“, bei Alibaba 38,4 Milliarden Dollar umgesetzt. Damit übertraf der chinesische Amazon-Rivale den kompletten Quartalsumsatz seines Konkurrenten an nur einem Tag! Allerdings, so meldet Alibaba, fiel das Wachstum mit +26 % etwas schwächer aus als in den vergangenen Jahren. Analysten, so heißt es in einem Bericht des Manager Magazins, zeigten sich „trotzdem zufrieden“. Auch andere große Handelskonzerne meldeten rund um den Erdball Umsatzzuwächse von 30% und mehr. Das Shopping Event wurde vor 11 Jahren von Alibaba als Gegenstück zum „Black Friday“ in den USA installiert. Der „Singles Day“ hat einen ganz besonderen Anspruch. Er soll die vielen Unverheirateten im Land, vorwiegend Männer, über ihre Einsamkeit mit besonderen Einkaufs-Schnäppchen hinwegtrösten.
Warum das Sinn macht: Vor gut einem halben Jahr, am 12. April 2019, zitierte Spiegel Online die South China Morning Post mit deren Überschrift „Kein Schlaf, kein Sex, kein Leben“. Die Zeitung berichtete über die Arbeitsbedingungen in der chinesischen Tech-Branche und erklärte ihren Lesern den Code 996. Dieser dient wohl als allseits bekannte Beschreibung der Arbeitssituation chinesischer Angestellter: Von morgens 9 Uhr bis abends 9 Uhr an 6 Tagen in der Woche. Alibaba wird von chinesischen Kritikern zu den Konzernen mit den schlechtesten Arbeitsbedingungen gezählt.
Doch nicht nur in China ist Massenkonsum ein Phänomen: Ab 29.11.2019 findet in der (westlichen) Welt der „Black Friday“ statt. Und da machen alle mit, rund um den gesamten Globus. Im Jahre 2018 wurden laut HDE (Handelsverband Deutschland) allein in Deutschland 2,8 Milliarden Euro umgesetzt, was einen Anstieg um 15% im Vergleich zum Vorjahr bedeutete. Allerdings sind für viele Einzelhändler in Deutschland die Rabattschlachten vor Weihnachten reine Notwehr gegenüber Amazon. Ein Analyst der Münchner Baader Bank beschreibt es mit drastisch Worten: „Letztlich handelt es sich um einen Trick von Amazon, um den Kunden das Geld aus der Tasche zu ziehen, noch bevor in den Innenstädten die Weihnachtsstimmung mit den Lichtern und Tannenbäumen um sich greift“. Das Manager Magazin titelte: „Wie Amazon und Co. Milliarden Umsätze mit erfundenen Feiertagen generieren“
Ab 2. Dezember folgt dann der „dritte Feiertag“ der online-Händler, der „Cyber Monday“. Allerdings geht die Cyber-Monday-Week schon am 25. November los und erstreckt sich dann über den Black Friday bis zu besagtem 2. Dezember. Und wenn Sie Amazon-Prime-Mitglied sind, hatten Sie dieses Jahr sogar den Vorteil, schon vorab zu erfahren, welche Schnäppchen wann zu haben sind.
Über die damit verbundenen Auswirkungen auf die Umwelt hat sich die Uni Bamberg Gedanken gemacht. In einer Studie haben Wissenschaftler Zahlen in Bezug auf den Onlinehandel in Deutschland ermittelt: Insgesamt sind im Jahr 2018 280 Millionen Pakete mit 487 Millionen Artikeln an die Händler zurückgeschickt worden. Das entspricht ungefähr 15% der bestellten Ware. Interessant sind dabei die unterschiedlich stark ausgeprägten Retourenquoten in den unterschiedlichen Artikelgruppen. Ganz an der Spitze der Quote liegen Textilien mit ca. 46%. Damit geht fast jedes zweite Kleidungsstück zurück an den Absender. Die durch Retouren verursachten Kosten im Onlinehandel betragen rund 5 Milliarden Euro pro Jahr. Die damit verbundenen Emissionen belaufen sich auf 238.000 Tonnen. „Dies entspricht in etwa der Umweltwirkung von täglich 2.200 Autofahrten von Hamburg nach Moskau.“ Außerdem wurde ermittelt, dass 2018 ca. 20 Millionen Retouren in Deutschland im Müll landeten. Da die Entsorgung von zum Teil neuwertigen Artikeln nur 85 Cent pro Stück kostet, ist es „ökonomisch sinnvoller“, 4% der zurückgesendeten Artikel gleich zu entsorgen. 20 Millionen Stück neuwertige Produkte werden entsorgt, nachdem sie mindestens zweimal durch die Republik gekarrt wurden.
Die Sendung „quer“ im Bayrischen Rundfunk vom 14.11.2019 berichtet noch über einen anderen Aspekt des Online-Handels. Das Fraunhofer Institut habe ermittelt, dass im Durchschnitt 50% des Päckchen-Inhalts aus Füllmaterial (Papier und Kunststoff) besteht. Damit steigen die CO2-Belastungen erheblich. Grund für diese Vorgehensweise der Händler sind die Personalkosten beim Verpacken. Produkte in Pakete zu packen geht mit großen Kartons schneller als mit kleinen. Das spart Kosten. Abgerechnet wird mit den Speditionen nach Gewicht und Stückzahl. Also ist der überdimensionierte Versandkarton ein Kostenvorteil – zumindest für den Händler.
Vielleicht bekommen Sie ja Lust, den einen oder anderen Einkauf vor Weihnachten analog in der Tübinger Innenstadt zu tätigen. Die Händler in der Stadt würden sich sicher freuen! Und vergessen Sie nicht: Laut Report ist die „Mittlere Lebenszufriedenheit in den westdeutschen Bundesländern seit Mitte der 1980er Jahre mehr oder weniger gleich geblieben. Seit 35 Jahren konsumieren wir immer mehr, aber empfinden keine zusätzliche Lebensqualität. Das sollte uns zu Denken geben. Am Besten bei einem Glas Wein oder einer warmen Tasse Tee oder Kaffee. Mit einem Stück Stollen und am besten mit Freunden. Viel Spaß dabei!