Rettet die Biene! (ein bisschen)
„Die Belege sind unbestreitbar: Die Zerstörung der Artenvielfalt und der Ökosysteme hat ein Niveau erreicht, das unser Wohlergehen mindestens genauso bedroht wie der durch den Menschen verursachte Klimawandel“, sagt Robert Watson, Chef des UN-Gremium IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) in einem Bericht zum Zustand der globalen Artenvielfalt. „Wir erodieren global die eigentliche Basis unserer Volkswirtschaften, Lebensgrundlagen, Nahrungsmittelsicherheit und Lebensqualität.“ Weiter heißt es in der Studie, dass die Nahrungsmittelproduktion mit einem Wert von 235 bis 577 Milliarden Dollar pro Jahr durch das Sterben von Bestäuber-Insekten bedroht ist. Nur „tiefgreifende Veränderungen“ könnten Watson zufolge den Schaden für die Artenvielfalt noch eingrenzen. Oder, wie es Nils aus dem Moore vom RWI Leibnitz-Institut für Wirtschaftsforschung ausdrückt, „dass weiteres Wirtschaften mit einer nicht ausreichenden Rücksichtnahme auf die Leistungsfähigkeit der Natur absehbar ins Desaster führt – ökologisch, aber letztlich auch ökonomisch und sozial.“
Solche und ähnliche Stellungnahmen gibt es mittlerweile massenhaft. Ist irgendetwas unklar daran? Die heftige öffentliche Diskussion zum „Bienen-Volksbegehren“ in Baden-Württemberg zeigt eines überdeutlich: Wir haben die Konsequenzen und die Dramatik des Artensterbens nicht begriffen. Und niemand, offensichtlich auch nicht die Grünen oder die Bio-Anbauverbände, will eine radikale Agrarwende. Nur ein kleiner Spurwechsel, aber keine Richtungsänderung. Die konventionellen Vertreter sind wie zum Thema üblich die vehementesten Bedenkenträger. Aber auch die bis dato Verbündeten für eine Korrektur unserer Produktions- und Lebensverhältnisse fahren diesmal schwere Geschütze auf. Beispielhaft dafür die Meldung der Stuttgarter Zeitung vom 8. Oktober: „Kretschmann hadert mit Bienen-Volksbegehren“. Die Lichtgestalt der grünen Realpolitik, unser Ministerpräsident Winfried Kretschmann, hält die Initiative „Rettet die Biene“ für „überzogen“. Zu der Forderung, auch in Landschaftsschutzgebieten ein grundsätzliches Pestizidverbot durchzusetzen, äußert er sich folgendermaßen: „Das hätte dramatische Folgen für Tausende von konventionell und biologisch wirtschaftenden Betrieben ( … ) und das geht so nach unserer Ansicht auf gar keinen Fall.“ Auch die badischen Öko-Winzer und der Landesnaturschutzverband (LNV), so berichten es die Stuttgarter Nachrichten, halten das Pestizidverbot in Landschaftsschutzgebieten für überzogen. Sie verweisen bei ihrer Kritik auf einen sehr wichtigen, baden-württembergischen Gesichtspunkt: „Ohnehin sei Baden-Württemberg das Land der Sonderkulturen – von Erdbeeren bis Spargel. All diese Betriebe kämen nach Ansicht der Landwirte in Existenznot.“ Dazu muss man wissen, dass Sonderkulturanbau wie Wein, Obst, Beeren, Spargel oder Hopfen mit großem Abstand die höchsten Aufwendungen für „Pflanzenschutz“ erfordern. Auch für Bio-Betriebe ist der Anbau dieser empfindlichen Kulturen eine erhebliche Herausforderung, mit teilweise nicht unproblematischen Kompromissen. Denn auch sie müssen makellose Früchte zu zunehmend niedrigeren Preisen anbieten. Deshalb ist der Widerstand in den Anbaugebieten von Sonderkulturen wie am Kaiserstuhl, im Rheintal oder in der Bodensee-Region besonders erbittert.
Die am häufigsten genannte Kritikpunkte am Volksbegehren:
-
Es darf kein Zwang auf die Landwirte ausgeübt werden, auf Bio-Produktion umzustellen
„Wer den Biolandbau voranbringen möchte, müsse dies über Anreize und veränderte Rahmenbedingungen tun anstatt über ein Gesetz, das die Betriebe zum Ökolandbau zwinge.“, sagt Herr Bronner vom LNV. „Das wird nicht funktionieren.“
Diese Einlassung ist zumindest für mich überraschend, da der Berufsstand der Bauern, seit ich mich erinnern kann, von einem Zwang zum anderen getrieben wurde. Es ging beispielsweise um das Verbot von Spritzmitteln und Überdüngung, um zu hohe Belegungsdichten in der Tierhaltung, die Abschaffung von bestimmten Tierhaltungssystemen und vieles andere mehr, was im Endeffekt aber zur Verbesserungen in der Qualität der Produkte geführt hat. Man kann daher wohl behaupten: die politischen Zwangsmaßnahmen treiben die immer kleiner werdende Zahl von Landwirten seit Jahrzehnten vor sich her. Doch jetzt soll es angeblich problematisch sein, die Bauern zu einer ökologischen und nachhaltigen Wirtschaftsweise zu „zwingen“?
-
Ein ruinöser Preiswettbewerb
Der Grünen-Abgeordnete und Bio-Landwirt Martin Hahn warnt vor einem „ruinösen Preiswettbewerb“, falls es zu einem gesetzlich verordneten Anteil von 50 Prozent Biolandbau käme. Es ist die Sorge um den freien Markt, der die Skeptiker umtreibt.
Schauen wir uns den „freien Markt“ der landwirtschaftlichen Lebensmittelerzeugung mal genauer an: Öffentliche Gelder, sprich Subventionen in Milliardenhöhe, werden jährlich ins System gepumpt. Es gibt oder gab „Stilllegungsprämien“, „Extensivierungszulagen“, „Investitionshilfen“, „Dieselverbilligung“, „ermäßigter Mehrwertsteuersatz“, „Förderung von Biogas-Anlagen“, „flächenbezogene Prämien“, „öffentliche Preisintervention bei Ölfrüchten“ wie z.B. Raps, und „Exportsubventionen“. Das ist nur ein kleiner Ausschnitt der Jahrzehnte währenden öffentlichen Interventionen in den Lebensmittelmarkt. Von einem freien Markt zu sprechen, in den der Staat nicht eingreift, ist schwer nach zu vollziehen.
-
Gefahr für Baden-Württembergische Familienbetriebe
DBV-Präsident Joachim Rukwied mahnt, „( … ) dass zu hohe Auflagen – wie im Volksbegehren vorgesehen – für die hiesigen Familienbetriebe, die bereits nach hohen Standards produzieren, das Aus bedeuten. Überzogener Natur- und Umweltschutz dürfe nicht zum Treiber des Strukturwandels werden.
Herr Rukwied und die anderen Vertreter des Deutschen Bauernverbandes haben seit Jahrzehnten nur eines im Sinn: Eine deutsche Landwirtschaft zu fördern, die im globalen Markt bestehen kann. Die Fördermaßnahmen, die diese mächtige Lobby seit Jahrzehnten politisch durchsetzt, sollen das „Wachsen oder Weichen“ massiv vorantreiben. Und dies mit großem Erfolg! Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe ist seit 1990 um 60% zurückgegangen, die durchschnittliche Größe stieg um das dreieinhalbfache auf heute 62 Hektar. Dass ausgerechnet dieser Herr Rukwied sich schützend vor den baden-württembergischen Familienbetrieb stellt, ist an Falschheit kaum zu überbieten.
Das Fazit:
Seit Jahrzehnten werden Milliarden und Abermilliarden Euro in die Lebensmittelwirtschaft gepumpt. Und das Ergebnis ist verheerend. Immer weniger Bauern und Gärtner, immer weniger Arbeit auf dem Land, immer weniger Leben auf dem Land, immer weniger Bestäuber-Insekten, immer weniger Vögel, immer weniger Lebensmittelhandwerker (Bäcker, Metzger … ), immer weniger Lebensmittelhändler, immer mehr Gewässerbelastung, immer mehr Konzernmacht in Verarbeitung und Handel.
Am 18.10.2019 kam im Schwäbischen Tagblatt eine Meldung unter der Überschrift „Schmetterlinge kaum noch zu sehen“ wird von einer aktuellen Studie zum Rückgang der Schmetterlingspopulationen in Baden-Württemberg berichtet. Gründe lägen hauptsächlich in der intensiven Landwirtschaft und in der Versiegelung der Flächen. „Die Artenvielfalt befindet sich ( … ) im freien Fall“. Und die Wissenschaftler weisen u.a. darauf hin, dass laut ihren Untersuchungen das Artensterben auch vor Naturschutzgebieten nicht Halt mache. Mit dem Rückgang der Schmetterlinge ginge die gesamte Biomasse zurück, was sich dramatisch auf die Nahrungsnetze und auf höhere Ebenen der Nahrungspyramide, z.B. auf Vögel und Fledermäuse auswirke
Die Versiegelung der Flächen löst im Häusle- und Autobauer-Land Baden-Württemberg natürlich keine politische Diskussion aus. Warum nur?