Showdown für den Menschen
„Showdown für den Artenschutz“, so hieß eine Überschrift zum in Paris stattfindenden Biodiversitätsrat Anfang Mai diesen Jahres. In sehr vielen Veröffentlichungen zum Thema Artenschutz sind solch eigenartige Formulierungen in der Berichterstattung zu lesen. Eigentlich müsste es heißen „Showdown für das Überleben der Menschen“. Denn die Erde braucht uns nicht für ihr Fortbestehen und den aussterbenden Arten wird es reichlich Wurst sein, ob die Menschen eine Zukunft haben oder nicht. Wir setzen unsere eigene Zukunft aufs Spiel, wenn wir nicht zur Vernunft kommen.
Die Auswirkungen, die laut Bericht besonders die Landwirtschaft betreffen und die Agrarwirtschaft als Hauptverursacher benennt, sind:
- eine Million Arten (circa zwölf Prozent weltweit) sind in den nächsten Jahrzehnten akut vom Aussterben bedroht
- 85 Prozent der Feuchtgebiete sind bereits zerstört
- neun Prozent aller Nutztierrassen sind ausgestorben
- 23 Prozent der Landfläche des Planeten gilt als ökologisch heruntergewirtschaftet und kann nicht mehr genutzt werden
- der Verlust von Bestäuberinsekten bedroht Nahrungsmittelproduktion im Wert von bis zu 577 Milliarden Dollar pro Jahr
Die Landwirtschaft ist laut UN-Bericht Hauptbetroffener und Hauptverursacher zugleich. Daraus folgt: Wenn wir uns keine andere Landwirtschaft leisten wollen, müssen wir bald auch auf die Bäume klettern und die Blüten mit kleinen Pinselchen von Hand bestäuben. Wie in einem der wichtigsten Obst-Anbaugebiete namens Sichuan in China. Dort lässt sich nach dem massiven Einsatz von Pestiziden seit 25 Jahren kein Insekt und kein Vogel mehr blicken.
Von all diesen Zahlen und Warnungen werden wir wie gelähmt, weil uns das beispielhafte, das konkrete Ereignis oft fehlt. Wie kommt es beispielsweise dazu, dass bei uns die Feldlerche vom Aussterben bedroht ist? Sie hat sich dummerweise immer noch nicht auf die veränderte landwirtschaftliche Nutzung in Feld und Flur eingestellt. Das Lerchenpärchen hat die heutzutage nicht sehr zukunftsträchtige Angewohnheit, ihr Gelege im Gras einzurichten. Ihr Nachwuchs braucht zwar Schutz im hohen Gras, aber zu dichte Bestände, also intensive Grünlandnutzung oder gar Getreide, lässt den Nachwuchs an Unterkühlung sterben. Spätestens Ende Mai kommt der Bauer, und schreddert das Gelege mit seinem Mähwerk. Das ist früher nicht passiert. Woran liegt das? Nun heutzutage kommt der Bauer mit seinem Mähwerk früher und öfter im Jahr. Und weshalb? Weil er junges, eiweißreiches Gras an seine Turbomilchkühe verfüttern will. Wozu? Damit die mehr Milch geben. Damit er möglichst viel und möglichst billige Milch produzieren kann. Denn über die billige Milch freut sich der Geldbeutel der EndverbraucherInnen.
In manchen Gegenden, zum Beispiel im schönen Allgäu, sind vier Grasschnitte pro Jahr durchaus üblich. Dies ist nur möglich, wenn sehr viel gedüngt wird. Mineraldünger, oder massenhaft Gülle. Die Nitratgehalte steigen im Oberflächenwasser, weder Gräser noch Kräuter kommen in die Blühphase. Dann kommen auch keine Bienen oder Hummeln oder sonstige Bestäuber mehr vorbei. Was dann ein Problem für die Feldlerche ist, da sie kein Futter für ihre Jungen findet. So schließt sich der Kreis. Aber das mit dem Nachwuchs hat sich ja schon Ende Mai erledigt. Dann sind sie irgendwann halt einfach weg, die Feldlerche, die Biene und die Hummel. Die externalisierten Kosten der Lebensmittelproduktion, so nennt es die Wissenschaft, drücken sich also unter anderem in einem massenhaften Artensterben aus. Eine neue Studie der Uni Augsburg mit dem Titel „How much ist the dish“ hat nachgewiesen, dass unsere Lebensmittelpreise ganz erheblich steigen müssten, wenn wir uns eine nachhaltige Landwirtschaft leisten wollten. Auch die biologische Landwirtschaft hinterlässt Spuren in der Umwelt. Allerdings ganz erheblich weniger. Und in der Produktion von biologischem Obst und Gemüse entsprechen die Erzeugerpreise den Gesamtkosten der Produktion. Also zum Beispiel auch den Kosten für den Erhalt der Bodengesundheit und der Artenvielfalt bei Pflanzen, Tieren und Insekten.
Diese Kosten steigen allerdings erheblich, wenn kleinräumige Ackerstrukturen ausgeräumt und auch die biologische Produktion auf Großflächen abwandert. Dies ist der zu erwartende Effekt, je mehr große Handelsketten große Erzeugerstrukturen brauchen, die überregional oder gar international und vor allem günstig produzieren. Die Autoren schreiben: „Die Kleinräumigkeit der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung für die Biodiversitätsförderung ist genauso wichtig wie die Umstellung auf ökologischen Landbau [...]“. Diese Erkenntnisse widersprechen eindeutig den Bemühungen aller namhafter Bio-Verbände, mit den großen Handelsketten ins Geschäft zu kommen. Deren Bio-Geschäftsmodell ist nicht nachhaltig, sondern von Profilierungssucht und Eigennutz getrieben. Bäuerlich geprägte Bio-Landwirtschaft in der Region erzeugt die geringsten externen Kosten. Angesicht der dramatischen Entwicklung in Feld und Flur können wir uns ein anderes Modell gar nicht mehr leisten.
Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig, einer der Leitautoren des UN-Berichts, sagte unter anderem: „Es kann keiner mehr sagen, wir haben es nicht gewusst“ Auch wenn die Landwirtschaft als Hauptverursacher beschrieben wird, die Bauern sollten sich nicht als Buhmann fühlen. „Sie werden durch die Subventionen behindert oder gar bestraft“, wenn sie umweltfreundlich wirtschaften. Das gelte es zu ändern, so Settele.
Eberhard Brandes, geschäftsführender Vorstand der Umweltorganisation WWF Deutschland, forderte, das „Paradigma vom ewigen und alternativlosen weltweiten Wirtschaftswachstum ohne Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit der Natur“ zu beenden. „Wir müssen schleunigst beginnen, in den natürlichen Grenzen der Erde zu wirtschaften.“ Kai Niebert, der Präsident des deutschen Naturschutzrings, führt zur Diskussion um den UN-Bericht noch ein anderes Argument ins Feld: „Entweder wir steuern heute in der Landnutzungspolitik um oder wir müssen morgen mit Millionen Flüchtlingen vor den Toren Europas umgehen.“ Am 03. Mai 2019 war der Tag, an dem wir in Deutschland unser Jahreskonsumkontingent aufgebraucht haben. Mehr steht uns eigentlich nicht zur Verfügung, wenn wir den Globus nicht vollkommen ruiniert wollen.
Am 01. Mai bin ich „aus Versehen“ zu früh aufgestanden – ich war noch voll im Arbeitsmodus am „Tag der Arbeit“. Also nutzte ich die relativ frühe Morgenstunde für eine kleine Radtour durchs Ammer- und zurück durchs Neckartal. In den Wiesen zwischen Wurmlingen und Kiebingen ist mir aufgefallen, dass überall Feldlerchen zwitscherten. Hier wird auf vielen Hektar sehr extensive Wiesennutzung mit nur einem Schnitt pro Vegetationsperiode betrieben. Die Fläche ist Wassereinzugsgebiet. Und ich denke, so einfach kann Artenschutz sein.