Das Marktladen-Konzept
Am ersten Februar saß ich mit meiner Gattin am Frühstückstisch. Immer eine gute Gelegenheit als Unternehmer-Ehepaar, über den gemeinsamen Betrieb zu plaudern. Dabei kommt mit Regelmäßigkeit das Thema auf den Tisch, dass sich MitarbeiterInnen manchmal subtil, manchmal süffisant und manchmal auch ziemlich frontal von KundInnen Beschwerden anhören müssen, dass der Marktladen „zu teuer“ sei. Was dabei mit „zu teuer“ gemeint ist, bleibt oft allerdings im Dunkeln. Manchmal hören wir den Zusatz, dass Alnatura oder Edeka Bio-Lebensmittel billiger anbieten würden. Und jetzt gibt es auch noch Bioland bei Lidl, Demeter bei Marktkauf. Die Bio-Verbände schließen sich mittlerweile sogar mit den preisaggressivsten Lebensmittelhändlern zusammen.
Mein erster Impuls ist, dass wir schon oft erklärt haben, warum wir im Marktladen Bio nicht so billig anbieten können wie die Großen. Aber bei einer Recherche in meinem Marktlese-Archiv stelle ich fest, dass der letzte große Artikel zu diesem Thema tatsächlich schon drei Jahre zurückliegt. Ich schrieb damals zu dem Thema unter dem Titel „David gegen Goliath?“. Nach drei Jahren ist eine Auffrischung vielleicht gar nicht so verkehrt. Es ist ja seither auch viel passiert. Die Bio-Verbände sind alle „unheilige“ Allianzen mit den großen Handelskonzerne eingegangen. Die Big Four (Edeka, Rewe, Aldi und Lidl) bestimmen mehr und mehr den Bio-Markt. Wichtige Naturkostmarken wie Davert, Bohlsener Mühle u.a. stehen in allen Supermarktregalen oder werden kurzerhand von den Lebensmittelkonzernen aufgekauft, wie Soebbeke, Pukka Tee, Logona, Provamel etc.
Die größten Bio-Händler sind Dennree und Alnatura.
An erster Stelle im Naturkostbereich steht die Firma Dennree mit über 280 eigenen Denn’s Bio-Märkten (Tendenz stark steigend) sowie mehreren hundert Kunden aus dem Naturkosteinzelhandel. Ähnlich wie beim Edeka-Konzept betreibt Dennree eigene Denn’s Bio-Märkte und beliefert außerdem selbstständige Bio-Ladner oder regionale Bio-Supermarktketten. Insgesamt beliefert Dennree über 1400 Märkte.
Alnatura arbeitet in ganz großem Stil mit dem konventionellen Lebensmittelhandel in ganz Europa zusammen. In Deutschland sind viele gute Bekannte dabei: Die Edeka-Gruppe, Rossmann, die Müller Drogeriemärkte und tegut, um nur die wichtigsten zu nennen. Laut Angaben von Alnatura wird ihre Eigenmarke in 12.300 Geschäften bei 19 Handelspartnern angeboten. Da muten die gut 130 eigenen Alnatura-Filialen beinahe wie eine niedliche Dreingabe.
Nun die Frage: Warum sind wir teurer als unsere Konkurrenz? Das ist eigentlich ganz einfach zu erklären. Es ist die schiere Größe, die den hunderte Millionen Euro schweren Mitbewerbern klare Kostenvorteile verschafft. Hier die wichtigsten Punkte:
- Einkaufskonditionen
Es gilt wie in vielen anderen Bereichen unseres Wirtschaftssystems: Wer viel nachfragt, bekommt die besten Einkaufskonditionen. Oder verschafft sie sich durch seine Marktmacht. Das erklärt, warum dieselben Produkte bei den großen Mitbewerbern günstiger sind als im Marktladen. - Eigenmarken
Höchste Attraktivität haben die Eigenmarken der Handelsketten bei der Kundschaft. Sie liegen meist im Preiseinstiegssegment und werden bei Produkten angeboten, die eine hohe Nachfrage („Schnelldreher“ wie Passata oder Spaghetti) oder ein besonders gutes Image (Babygläschen) haben, mit dem man sich profilieren will. Die Botschaft soll sein: Wir können hochwertige Bio-Qualität zum kleinen Preis. Solche Eigenmarken lassen sich aber nur ökonomisch erfolgreich anbieten, wenn über tausende Verkaufsstellen ein hoher Mengenabsatz garantiert ist. Durch die große Verkaufsmenge wird bei niedrigeren Margen der Erfolg erzielt. - Groß- und Einzelhandel
in einer Hand Beide großen Naturkost- Mitbewerber agieren am Markt sowohl als Großhändler als auch als Einzelhändler. Damit wird eine Handelsstufe gespart und dadurch ein erheblicher Kostenvorteil erzielt. - Kostendegression
in allen Betriebsabläufen Man muss sich klar machen, dass so große Unternehmen praktisch in allen Bereichen Kostenvorteile erzielen können: Beim Einkauf von Energie und Dienstleistungen. In der Verwaltungsoptimierung, der Öffentlichkeitsarbeit und natürlich beim Ladenbau.
Man kann es so zusammenfassen: Die Marktmacht dieser Konkurrenten verschafft ihnen in allen Bereichen Kostenvorteile. Eigentlich nicht wirklich überraschend.
Und die Besonderheiten des Marktladen-Konzeptes verschärfen den Kontrast.
Die Frage lautet: Was hat der Marktladen zu bieten?
- Sortiment mit Originalität
Wir arbeiten mit sehr vielen kleinen Lieferanten zusammen, über 60 an der Zahl. Aus diesem Grund haben wir für die Warenbeschaffung einen überproportional hohen Kostenaufwand. Aber das ist nicht Unvermögen, sondern Strategie: Wir versuchen, vielen kleinen und möglichst vielen regionalen Anbietern eine Vermarktungsplattform zu bieten. Wir möchten die regionale, bäuerliche Struktur und handwerkliche Tradition in der Lebensmittelwirtschaft unterstützen. Diese Betriebe sind in der Regel zu klein, um die großen Handelsketten beliefern zu können. Stirbt der Bio-Fachhandel, dann sterben auch die regionale Erzeugung und Verarbeitung und damit das einstmals vielfältige und originelle Lebensmittel-Angebot. Wer also bei uns regional einkauft, unterstützt damit bewusst die regionale Erzeugung und Verarbeitung, und damit die Vielfalt auf dem Teller. - Sortiment mit Frischefaktor
Der Umsatzanteil von Frischprodukten liegt im Marktladen bei fast 70 Prozent. Frisches Gemüse oder Obst und Fleisch oder Backwaren haben ein wesentlich höheres Risiko zu verderben. Die unausweichlichen Verluste sind höher, der Ertrag sinkt. Aber wir haben uns ganz bewusst dafür entschieden, ein qualitativ hochwertiges Frischwarensortiment zu führen. Dies ist auch aus Sicht ressourcenschonender Prozesse sinnvoll. Keine Verarbeitung und der Verzicht auf Verpackung bedeuten eine große Einsparung an Energie und Rohstoffen. Der Marktladen ist der größte Unverpackt-Anbieter in der Stadt. Und wir meinen, dass wir das attraktivste Bio- Frischsortiment in Tübingen und Umgebung haben. Regalmeter mit Trockenprodukten und Getränken zu füllen, stellt keine besondere Herausforderung dar. - Sortiment mit Breite
Die am meisten nachgefragten, da häufig günstigen Produkte, sind in der Regel in den Händen großer Produktionseinheiten. Hohe Professionalität, hohe Effizienz, großer Mengenausstoß. Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden. Aber mit großen Produktionsstätten konzentrieren sich die Prozesse: Der Transportaufwand steigt und die Region verliert. Wir bieten Ihnen eine Sortimentsbreite, die Sie sonst nirgends finden. 100 Sorten Obst und Gemüse, 60 Sorten Wurst, 20 Sorten Fleisch, über 100 Sorten Käse und Dutzende von verschiedenen Backwaren. Auch damit steigt natürlich die Verlustquote, da wir uns nicht auf die „Schnelldreher“ konzentrieren. „Mainstream“ -Käse wie Gouda, Butterkäse oder Tortenbrie ist einfach und kann jeder. Aber bei wem bekommen Sie schon einen Büffelmozzarella aus Dürrenmettstetten im Schwarzwald oder echte bayrische Weißwurst von den Herrmannsdorfer Landwerkstätten? - Sortiment mit Bedienung
Weil wir über 70 Prozent des Sortiments in Bedienung verkaufen, kommen wir auf einen Personalkostenanteil, der mit Sicherheit fünf bis zehn Prozent über dem der großen Konkurrenz liegt. Und zwar bezogen auf den Umsatz. Ein Rechenbeispiel zur Veranschaulichung:
Bei einem Umsatz von einer Million Euro macht eine Differenz von 5 Prozent pro Jahr einen Kostenvorteil von wenigstens 50.000 € aus. Weil wir aber der Ansicht sind, dass der Verkauf hochwertiger Bio-Lebensmittel auch eine ebensolche Bedienung und Beratung brauchen, bemühen wir uns sehr um gute Arbeitsplätze und gut geschulte und motivierte MitarbeiterInnen. Wir können Fragen zur Produktherkunft und Inhaltsstoffen beantworten. Wir kennen viele unserer kleinen Lieferanten und deren Geschichte. Sie bekommen Ratschläge zu Unverträglichkeiten und Beratung zur Ernährung im Allgemeinen und im Speziellen. Wir können Ihnen Rezeptvorschläge machen oder Kochtipps geben. Außerdem wissen wir detailliert über die Anforderungen des ökologischen Landbaus und über die Tierhaltung auf den Bio-Höfen Bescheid. Und wenn jemand von unseren MitarbeiterInnen mal etwas nicht beantworten kann, weiß die Kollegin Bescheid. Und wenn die es auch nicht beantworten kann? Nun, dann kümmern wir uns darum und beschaffen Ihnen gerne die entsprechenden Informationen. Wir sind der Ansicht, dass dieser Einsatz unsere Kompetenz und unsere Glaubwürdigkeit erhöht. Nur wer ein Bio-Sortiment führt, das Sie an jeder „Straßenecke“ bekommen, braucht niemanden zum Erklären. Aber das Marktladen-Sortiment ist so individuell, weil wir mit vielen tollen Partnern zusammenarbeiten, die Produkte mit „Gesichtern und Geschichten“ anbieten. Und das wollen wir auch so. Und wir bieten, ganz nebenbei, über achtzig Menschen einen Arbeitsplatz, den manche schon seit Jahrzehnten mit großem Engagement ausfüllen.
Dies sind nur die besonders ins Auge fallenden Unterschiede. Uns sind noch viel mehr Details für unsere Marktladen-Arbeit wichtig. Es leuchtet uns ein, dass Menschen sich über unsere Preise beschweren, wenn sie unser Konzept nicht interessant finden und lieber möglichst billige Bio-Lebensmittel einkaufen möchten. Das respektieren wir natürlich. Aber wir sind der Meinung, dass auch unsere Arbeit Respekt verdient. Die unserer MitarbeiterInnen und die unserer Lieferanten. Und das drückt sich auch in den Preisen aus. Wir sind sehr dankbar, dass uns in Zeiten des Bio-Schnäppchen-Fiebers so viele KundInnen treu bleiben und wir auch immer wieder neue hinzugewinnen.