Der Agrarindustrie den Hahn zuzudrehen!
Geheime Papiere haben ja die unpraktische Eigenschaft, geheim zu sein. Nur wenige Eingeweihte wissen Bescheid. Oft sind es Grundsatzpapiere, Arbeitspapiere oder Strategiepapiere. Vorüberlegungen, um eine politische Entscheidung herbeizuführen. Und je brisanter das Thema ist, desto heimlicher geht es zu. Dabei spielt nicht selten der Faktor Zeit eine wichtige Rolle. Die Bevölkerung soll den Entscheidern nur nicht rechtzeitig „auf die Schliche“ kommen. Zum Glück gibt es mittlerweile ein weltweit verknüpftes Netz von Investigativ-Journalisten. Auch von der Süddeutschen Zeitung. Wir können sehr dankbar sein dafür. Im November vergangenen Jahres haben Journalisten der SZ etwas Brisantes entdeckt. Es geht um das EU-Budget für die Jahre 2020 bis 2027. Das wird momentan in Brüssel verhandelt. Genauer gesagt, das Budget für eine gemeinsame europäische Agrarpolitik (kurz GAP). Es geht also um viel Geld. Um 40 Prozent des europäischen Gesamtbudgets. Es geht um 365 Milliarden Euro.
Nach dem Jahrhundertsommer des Jahres 2018, nach einem medialen Trommelfeuer bis in den Dezember hinein und der Weltklimakonferenz in Kattowitz Ende letzten Jahres hätte man meinen können, die Folgen und Probleme des Klimawandels seien auch in Brüssel bei den Agrarspezialisten angekommen. Man hätte hoffen können, dass die konventionelle, industrialisierte Landwirtschaft, die massiv zum Klimawandel beiträgt, endlich den Stellenwert bekommt, der ihr gebührt: Als Auslaufmodell. Aber Einsicht und Umkehr sind nicht die Attribute europäischer Agrarpolitik. Denn die europäische Agrarlobby steht der Autolobby in nichts nach.
Aus einem Entwurf des Klimaschutzberichtes 2018 der Bundesregierung geht klar hervor, dass die konventionelle Landwirtschaft ein großer Teil des Problems ist. Trotzdem ist z.B. das Ziel, die landwirtschaftlichen Stickstoffüberschüsse in der Gesamtbilanz bis 2030 auf 70 Kilogramm pro Hektar und Jahr zu reduzieren, in weite Ferne gerückt. Momentan liegt der durchschnittliche Überschuss bei über 100 Kilogramm. Die Landwirtschaft ist, nach dem Energiesektor, der zweitgrößte Emittent von Treibhausgasen. Im Vordergrund stehen dabei die beiden extrem schädlichen Gase Methan und Lachgas. Zum Einsatz von Pestiziden, die u.a. einen erheblichen Einfluss auf den Rückgang der Insektenpopulationen haben, schreibt das Umweltbundesamt: „Seit gut zwanzig Jahren stagniert der Absatz von Pflanzenschutzmitteln auf hohem Niveau.“
Mit anderen Worten: Nichts hat sich verbessert! Im Herbst 2018 wurde sogar gemeldet, dass 2017 2.300 Tonnen oder sieben Prozent mehr Pestizide in Deutschland verkauft wurden als 2016. Auch die Veränderungen in der Agrarlandschaft sind erheblich. Viele Vogelarten zeigen einen deutlich negativen Trend. Die Flächen mit „hohem Naturwert“, wie z.B. artenreiches Grünland, Brachflächen oder Streuobstweisen, sind auf einen Anteil von knapp über zehn Prozent am Agrarland gesunken. Wissenschaftler der Uni Göttingen kommen im Sommer 2017 in einer Studie über den „ökologisch-ökonomischen Nutzen von verschiedenen Landschaftstypen“ zu folgendem Schluss: „Die Kleinräumigkeit der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung für die Biodiversitätsförderung ist genauso wichtig wie die Umstellung auf ökologischen Landbau, spielt aber leider bei der Förderung im Rahmen der EU-Agrarpolitik bisher keine Rolle […]“. Und schließlich kommt auch der ökologische Landbau nicht richtig vom Fleck. Die angepeilten 20 Prozent in der landwirtschaftlichen Produktion werden noch weit verfehlt. Laut Zahlen des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) wurden 2017 in Deutschland erst 8,2 Prozent der gesamten Landwirtschaftsfläche ökologisch bewirtschaftet.
Berücksichtigt man die externalisierten Kosten der konventionellen Lebensmittelproduktion, entsteht ein eindeutiges Bild. Eine Studie vom Sommer 2018 weißt nach: Lebensmittel sind zwar billig in Deutschland, aber die Produktion kommt uns alle teuer zu stehen: Dr. Tobias Gaukler, Wissenschaftler an der Uni Augsburg, der die „Nebenkosten“ der konventionellen Landwirtschaft errechnet hat, kommt zu folgendem Fazit: „Für viele negative Klima-, Umwelt- und Gesundheitsfolgen, die sich aus der Produktion von Lebensmitteln ergeben, kommen aktuell weder die Landwirtschaft noch die Konsumenten auf.“
Dies alles lässt nur einen Schluss zu: „Die Reform der gemeinsamen Agrarpolitik muss es endlich schaffen, dass nicht mehr die Betriebe das meiste Geld bekommen, die die meiste Fläche bewirtschaften, sondern diejenigen, die am meisten für die Umwelt tun […]“ sagt Maria Krautzberger, Präsidentin des Bundesumweltamtes. Ein frommer Wunsch – angesichts der Überlegungen in Brüssel.
Die EU-Kommission und die Agrarminister der Länder befinden sich in einem offenen Konflikt. Die Kommission plädiert für eine Grünere Agrarpolitik, die Länder versuchen, dies zu verhindern. Partizipation von Umwelt-, Verbraucher- und Tierschutzverbänden sollen beschnitten und die Mittel für nachhaltiges Agrar-Wirtschaften eingefroren werden. 25 Prozent des Budgets, die bisher für freiwillige Leistungen, häufig im Umweltschutzbereich, zur Verfügung standen, sollen deutlich gekürzt werden. Es wird also künftig weniger Geld für Umwelt- und Klimaschutz zur Verfügung gestellt. 75 Prozent der Gesamtausgaben sind betriebliche Direktzahlungen. Dies soll auch so bleiben. Bemessungsgrundlage ist die bewirtschaftete Fläche eines Betriebs. Diese Form der Subventionen steht schon seit Jahrzehnten in der Kritik, da sie die Industrialisierung der Landwirtschaft massiv unterstützt. Der Europäische Rechnungshof hat eine klare Meinung zu dem Ansinnen der Regierungsvertreter: Das von der EU-Kommission angepeilte Ziel, 40 Prozent der Direktzahlungen für Umweltmaßnahmen und eine grünere GAP einzusetzen, erscheint völlig unrealistisch.“ Und auch im Europäischen Parlament wächst der Widerstand.
Die Bundesregierung hatte vereinbart bis 2030, den CO2-Ausstoß aus der Landwirtschaft um über 30 Prozent zu reduzieren. Wie dies geschehen soll, bleibt bei den bisherigen Überlegungen zu einer zukunftsfähigen Landwirtschaft schleierhaft.
Braunkohleabbau, Dieselskandal und jetzt ein Zukunftskonzept Landwirtschaft, das unter dem Einfluss der Agrarlobby einknickt. Wir sind also alle gefragt, unsere Stimmen zu nutzen und gemeinsam zu rufen: „Wir haben es satt!“