Bioland bei Lidl
Nun, man muss es unumwunden zugeben: Das Verhältnis zwischen Bio-Bauern, Bio-Verarbeitern und Bio-Händlern war nie besonders innig. Die Akteure der Szene waren sich nie so ganz grün. Auf der einen Seite die häufig bodenständig-konservativen Bio-Pioniere, auf der anderen Seite eine Handelsbranche, die sich aus dem studentischen und linkspolitischen Milieu entwickelt hat. Dazwischen kamen etwas später die Verarbeiter dazu, sozusagen als Bindeglied zwischen Erzeugern und Handel. Aber Bäcker und Metzger hatten bei den Bauern noch nie einen besonders guten Ruf, da sie immer im Verdacht standen, auf Kosten niedriger Erzeugerpreise ihren eigenen Wohlstand zu mehren. Die Birkenstock und Wollpullover tragenden Händler waren Bauern und Handwerkern gleichermaßen suspekt. Preisdruck und Marktmacht spielten in den vorsichtig beginnenden Handelsbeziehungen allerdings noch keine Rolle.
Der Nebel der Weltverbesserung waberte durch die Gehirne und Herzen. Das Angebot kam überwiegend aus der unmittelbaren Region, eine Großhandelsstruktur gab es noch nicht. Die Angebots- und die Nachfragemengen stiegen moderat. Eine Nische im milliardenschweren Lebensmittelmarkt. Die großen Handelskonzerne waren über Jahrzehnte vollkommen desinteressiert. Die Bio-Philosophie passte nicht in ihr Geschäftsportfolio. Nachhaltigkeit, Ökologie, Fairness waren Ideen aus einer fremden Galaxie. Die Bio-Verbände vertraten die Interessen der Erzeuger und verwahrten sich ausdrücklich dagegen, „den Markt“ zu beeinflussen. Das hat sich mittlerweile gründlich geändert.
„Es war eine kleine Sensation, mindestens aber eine Überraschung...“, schrieb Spiegel Online am 20.Oktober 2018. Der größte deutsche Bio-Anbauverband Bioland schließt einen langjährigen Kooperationsvertrag mit Lidl ab. So etwas schien noch vor kurzer Zeit undenkbar. An die anderen Großen der Branche (Edeka, Rewe, Real und Marktkauf) haben sich die Verbände in den letzten Jahren ja schon erfolgreich angedient. Und die sind in ihrem Geschäftsgebaren keinesfalls besser als Lidl, wie eine aktuelle Oxfam-Studie (Marktlese August/September 2018) nachweist. Sie stellt den deutschen Lebensmittelkonzernen allesamt ein verheerendes Zeugnis aus, was ihren Umgang mit Lieferanten und Erzeugern betrifft. Und nicht nur das. Sie liegen international mit Abstand auf den letzten Rängen und sie verschärfen laut der Studie die Situation der Bauern und Verarbeiter von Jahr zu Jahr. Da hilft auch ein „Fair-Trade-Mäntelchen“ nicht, so die Autoren der Studie.
Die deutschen Bio-Anbauverbände scheint dies nicht weiter zu stören. Ein paar Sätze aus einem Interview mit Jan Plagge, dem Präsidenten des Bioland Verbandes, geben Einblick in die Motivation der hohen Bio-Herren: Er glaube, dass sich Lidl wandeln wolle, aber er sehe auch die Schwachstellen des Discountersystems. Ethische und soziale Probleme seien ihm aus der Vergangenheit zwar bekannt, aber er glaube an Lidls Absicht, nachhaltiger agieren zu wollen. Angesprochen darauf, ob Bioland ein Problem habe, die eigenen Produkte am Markt unterzubringen, sagt Herr Plagge u.a.: „Wir hätten auch ohne die Partnerschaft mit Lidl weiterarbeiten können. Die sind ja auf uns zugekommen, um ihr Bio weiterzuentwickeln. Wir waren nicht in Not.“ Der Spiegel-Journalist wirkt nicht so richtig überzeugt von der Stellungnahme des Bioland-Präsidenten, denn er hakt nach: „Wenn Aldi mit dem Biomilchpreis runtergeht, wird der Druck auf Lidl und Bioland steigen.“ Plagge hingegen gibt sich optimistisch, dass der ruinösen Logik, die bisher das Einkaufsverhalten bei Lidl geprägt habe, nicht mehr gefolgt werde. Es gebe da einen Paradigmenwechsel bei Lidl. Und zur Not, so führt er an, habe man eine Ombudsstelle eingerichtet, die als Schiedsgericht aktiv werden könne, für den Fall, dass Lidl rückfällig werden sollte, was seine alten Discounter-Geschäftsgewohnheiten (die für 95 Prozent seines Handelns immer noch gelten – Anm. d. Red.) angeht.
Halten wir fest: Es ging nicht um ein Übermengenproblem. Die große Apfelernte 2018 und die vielen neuen Bioland-Umsteller bei den Milcherzeugern waren nicht das Problem. Es war also eine strategische Entscheidung. Es sollen Weichen für die Zukunft gestellt werden. Wie sieht nach diesem Deal die Zukunft aus für den Bioland Verband und vor allem seine Bauern? Ich meine: Ziemlich düster!
1972, also im Gründungsjahr des Bioland-Verband gab es noch circa eine Million landwirtschaftlicher Vollerwerbsbetriebe. 2017 waren es noch knapp 270.000. Fast zwei Drittel haben aufgegeben! Mit dem Niedergang der Landwirtschaft und der zunehmenden Macht der Konzerne starben viele Lebensmittelhandwerker und viele Einzelhandelsgeschäfte mussten schließen. Das Ergebnis: Die fünf größten Handelskonzerne bestimmen weit über 80 Prozent des Lebensmittelmarktes.
Momentan liegt die Zahl der Bioland-Bauern bundesweit bei 7.300 Betrieben. Ist es wirklich zu pessimistisch zu denken, dass dieses kleine Häufchen Bioland-Bauern nicht den Hauch einer Chance hat, sich gegen diese Konzernmacht zu behaupten? Und welche Bioland-Bauern profitieren denn von diesem Deal? Allenfalls möglichst große und hochspezialisierte Höfe. Wie viel Prozent der Bioland-Höfe sind das momentan? Diese Antwort ist mir schon vor Jahren der Bioland- Landesverbandsgeschäftsführer von Baden-Württemberg schuldig geblieben. Ganz sicher im unteren zweistelligen Prozentbereich. Sagen wir 1000 Betriebe bundesweit. Und was machen die anderen? Schnell wachsen? Hohe Summen investieren? Viel Technik einsetzen? Spezialisierung in der Produktion (Ade Kreislaufwirtschaft)? Was passiert mit einem hochspezialisierten und hochverschuldeten Betrieb in Handelsvereinbarungen? Er ist sehr leicht unter Druck zu setzen. Denn im Laufe der Jahre wird es keine alternative Abnahmestruktur mehr geben. Keine Mühlen, keine Bäcker, keine Metzger und auch keine Einzelhändler.
Der grüne Europaabgeordnete Martin Häusling, der selbst Bioland-Bauer ist, lehnt, wie viele andere in der Branche, den Deal ab: „Wer so eine Marktmacht hat wie Lidl, bestimmt am Ende die Preise.“ Bioland mache sich abhängig von einem großen Abnehmer, der den Verband unter Druck setzen könne. Denn auch Bioland sei „schnell austauschbar“, so Häusling.
Was wird kommen? Die Glaubwürdigkeit von Bioland, Demeter und den anderen Verbänden wird massiv Schaden nehmen. Sie stehen ab sofort nicht mehr für eine bäuerliche Kreislaufwirtschaft, nicht mehr für eine handwerkliche und regionale Lebensmittelwirtschaft und nicht für einen wohnortnahen unternehmergeführten Einzelhandel. Die Machtverteilung der ungleichen Partner wird zu einem Rückgang der Erzeugerpreise, zu einer Verwässerung der Verarbeitungskriterien für Bio-Lebensmittel, zu einer Spezialisierung und Systematisierung der gesamten Bio-Lebensmittelproduktion führen. Dies alles wird das Bio-Höfesterben und die Aufgabequote beim verarbeitenden Handwerk und den Naturkostläden stark ansteigen lassen. Um dies zu verhindern, werden neue Zusammenschlüsse und Solidarisierung notwendig sein. Und diesmal zwischen Landwirten, Verarbeitern, Handel und VerbraucherInnen.
Vor allem Letztere sollten ihre Macht nicht unterschätzen.
Im September 2007 zog die Schwarz-Gruppe/Lidl ihre Investition bei der Biomarktkette Basic wieder zurück. Schon damals wollte sich Lidl mit einem kleinen Investment an der klammen bayerischen Biomarktkette, damals 25 Filialen, beteiligen. Dies hatte anschließend, angeführt durch Attac, zu derart heftigen Protesten und Umsatzeinbrüchen geführt, dass der Deal rückabgewickelt werden musste.
„Der öffentliche Druck sei zu groß geworden“, erklärte Basic-Vorstandsvorsitzender Josef Spanrunft damals der „Süddeutschen Zeitung“. Spanrunft führte weiter aus: Es sei „sehr viel Unruhe“ in das Unternehmen gekommen, weil viele Kunden gegen die Kooperation mit Schwarz protestierten und mehrere Lieferanten die Geschäftsbeziehungen zu Basic aufkündigten.
Da wünschen wir uns doch sehr viel Unruhe für die Bioland-Bosse in den nächsten Monaten. Ich notiere Ihnen einfach mal ganz unverbindlich zwei E-Mail-Adressen, falls Sie eine innere Unruhe verspüren:
jan.plagge@bioland.de (Bioland Präsident)
christian.eichert@bioland.de
(Geschäftsführer Bioland Landesverband BaWü)
– Michael Schneider