„Regionale“ Wurst und der Sojaanbau in Südamerika
Regional ist das neue Bio. So sieht es die Lebensmittelindustrie. Und ist froh darüber. Denn Regional ist viel besser für’s Geschäft als nur Bio. Die Nachfrage nach regionalen Produkten wächst viel schneller, der potentielle Kundenkreis ist viel größer als der mit Bio-Affinität. Und die Produktionssteigerungen sind viel besser der gestiegenen Nachfrage anzupassen. Da gibt es Regional-Labels, Tierwohl-Labels und vieles andere mehr. Die Discounter machen sich zu Vorreitern einer tiergerechten Fleischproduktion. Wie geht das jetzt plötzlich? Was steckt dahinter? Und wieso kosten die Produkte kaum mehr an der Ladentheke? Uns Deutschen liegen der Tierschutz und tiergerechte Fleischproduktion ganz besonders am Herzen. Da gibt man doch gerne ein paar Cent mehr aus, wenn die Hühner und die Schweine auch mal raus dürfen auf die grüne Wiese. Und jetzt für die Festtage legt man da gerne etwas mehr auf den Tisch. Und aus der Region ist ja auch prima, weil da freut sich der Bauer aus dem Neckartal oder von der Schwäbischen Alb.
Ganz außer Acht gelassen wird bei aller Euphorie der entscheidende Faktor, wenn es um konventionelle Fleischerzeugung geht: Das Superfood Soja. Ohne Soja geht nichts in den deutschen Ställen. Dieser Boom hat auch mit dem Verbot von Tiermehlen in den Futtermischungen, während der sogenannten BSE-Krise, zu tun. Man brauchte dringend einen adäquaten Ersatz, der die billige Fleischproduktion am Laufen hielt. Sojabohnen sind aufgrund ihres hohen Fett- und Proteingehalts sowie der sehr günstigen Aminosäurenzusammensetzung für die Ernährung von Mensch und Tier sehr interessant. Soja ist das wichtigste Eiweiß-Futtermittel in der Geflügel- und Schweinefütterung, wird aber auch in der Rinderhaltung und Milcherzeugung eingesetzt. Der Anbau von Soja weltweit ist explodiert. Dabei sollten wir nicht vergessen, dass der größte Teil der in Nord- und Südamerika produzierten Sojabohnen gentechisch verändert ist.
Im März diesen Jahres wurde eine Studie mit dem Titel „Die vermeidbare Krise – die Umweltkatastrophe der deutschen Fleischindustrie“ veröffentlicht. (Auf mightyearth.org nachzulesen.)
Der enorm gestiegene Fleischkonsum in Deutschland hat verheerende Auswirkungen auf die Menschen vor allem in den großen Anbauländern Brasilien und Argentinien in Lateinamerika. Weltweit werden auf einer Fläche, die dreimal so groß ist wie Deutschland, nämlich über eine Million Quadratkilometer, Sojabohnen angebaut. 75 Prozent der Ernte sind für die Futtertröge der Industrienationen bestimmt. Ganz vorne mit dabei ist Deutschland als größter Nahrungsmittelmarkt Europas, immerhin mit einer Lebensmittelindustrie als drittgrößtem Industriezweig im Lande. 2016 wurden 6.300.000 Tonnen, überwiegend aus Südamerika, nach Deutschland importiert. Bei diesen Zahlen wird die konventionelle Fleischerzeugung in der Region ziemlich global. Die deutschen Bauern brauchen für ihre Tiere eine Anbaufläche in Südamerika von der Größe Mecklenburg-Vorpommerns. Das sind 23.000 Quadratkilometer. Insgesamt werden für alle Feldfrüchte zusammen in Deutschland 118.000 Quadratkilometer als Ackerland genutzt. Da bleibt einem das „regionale Steak“ doch glatt im Hals stecken!
Dramatisch sind die Abholzungsraten, von denen die Autoren der Studie angeben, dass diese vollkommen unnötig seien, da es in Lateinamerika rund 6.500.000 Quadratkilometer schon gerodetes Land gebe und dies zu einem großen Teil für den Sojaanbau und die Viehzucht zur Verfügung stehe. Das Ökosystems des Gran Chaco in Argentinien, Bolivien und Paraguay umfasst eine Fläche von 1.100.000 Quadratkilometer. Über 80.000 Quadratkilometer des Chaco wurden in nur zwölf Jahren gerodet. Das eher raue Klima des Chaco ist außerdem, so die Autoren, für groß angelegte Monokulturen von gentechnisch veränderten Früchten nicht gut geeignet. Das führt zum Einsatz riesiger Mengen chemisch-synthetischer Dünger und Pestiziden, allen voran Glyphosat. Letzteres macht deutlich, dass der Kampf gegen Glyphosat keinesfalls an den Grenzen Europas zu Ende sein darf!
Die Konzerne Cargill (über 100 Milliarden US-Dollar Jahresumsatz) und Bunge (knapp 45 Milliarden US-Dollar Jahresumsatz) spielen beim Export von Soja eine entscheidende Rolle. Der größte Teil des nach Deutschland exportierten Soja kommt, so weisen es die Autoren der Studie nach, von Abholzungsflächen. Dabei haben sich beide Unternehmen öffentlich zu „Null-Entwaldung“ verpflichtet. Die Autoren schreiben: „Unter den großen Händlern sind Cargill und Bunge die treibenden Kräfte hinter Abholzung für den Sojaanbau in ganz Lateinamerika.“ Aber natürlich brauchen diese Unternehmen Abnehmer, auch in Deutschland, die kein echtes Interesse an Soja von Nicht-Abholzungsflächen haben. Obwohl viele Unternehmen, die in Deutschland von den Autoren angefragt wurden, angeben, über eine Strategie zur Sicherstellung der nachhaltigen Sojabeschaffung zu verfügen, konnten sie keine Angaben darüber machen, wo genau ihr Soja angebaut wird.
Neben der Abholzung ist der explodierende Pestizideinsatz ein großes Problem. Der Einsatz von Agrarchemikalien ist z.B. in Argentinien in den vergangenen Jahren 25 Jahren um 1000 Prozent gestiegen. Die Krebsrate in der argentinischen Bevölkerung ist in den Soja-Anbaugebieten um 50 Prozent höher als im Durchschnitt aller Regionen.
Trotz erheblicher Repressalien auf die betroffene Bevölkerung durch die multinationalen Konzerne wächst der Widerstand in den lateinamerikanischen Ländern. Und auch in Deutschland sehen sich immer mehr Unternehmen bemüßigt, sich zu einer nachhaltigen Soja-Wirtschaft zu bekennen. So scheint es zumindest. Im Oktober 2017 haben sich 30 Einzelhandelskonzerne, Tiernahrungshersteller und Fleischverarbeiter zu einer nachhaltigen Tierfütterung verpflichtet, allerdings ohne sich auf einen gemeinsamen Standard oder gar eine externe Kontrolle zu verständigen. Solche grünen Placebos sind nichts anderes als Marketinginstrumente und wirken dadurch doppelt zynisch. So können Bunge und Cargill die Kritik leicht aussitzen und weiter ihre menschenverachtende Geschäfte betreiben.
Dabei haben deutsche Unternehmen großen Einfluss auf die Bedingungen des internationalen Soja-Handels. Das liegt nicht nur am Importvolumen, sondern auch der Stabilität und dadurch Lukrativität des deutschen Marktes. Sollten wir nicht Druck ausüben auf die deutschen Großkonzerne, ihre Soja-Handelspolitik zu ändern, und sollten wir nicht endlich unseren Fleischkonsum deutlich nach unten korrigieren? Und hin zu einer sojafreien Tierfütterung? Nur Fleisch ausschließlich aus biologischer Erzeugung und aus der Region kann auf Dauer die Probleme im Chaco und anderswo lösen. Lassen wir zum Schluss eine argentinische Bäuerin zu Wort kommen:
„Als Produzent aus dem Chaco, der in dieser Region geboren und aufgewachsen ist, ist Soja für mich kein Lebensmittel. Für mich ist es eine Krankheit. Gesunde Lebensmittel stammen aus der Zeit meines Vaters, das sind Süßkartoffeln, Yucca, Kürbisse… Soja ist für das große Geschäft, damit haben wir nichts zu tun.
Sie kamen hierher und haben uns im Chaco mit ihrem Soja krank gemacht. Und nicht nur hier, sondern meiner Meinung nach ganz Argentinien... Sie kommen, säen, vergiften, ernten und gehen wieder... Für mich ist Soja zu nichts nütze, nicht einmal als Tiernahrung. Es macht die Tiere krank… die Hennen legen keine Eier mehr, das Fleisch schmeckt furchtbar. Soja ist nicht wie der Mais, den wir in unserem Chaco säen...
Die Flugzeuge [die Herbizide versprühen] kamen um 6:00 Uhr morgens. Sie haben das Wasser, den Wassertank und die Quelle vergiftet. Wir haben davon getrunken und die Tiere ebenfalls. Und nun sind wir krank, meine Tiere und ich. Sie haben uns krank gemacht.“
– Catalina Cendra, Landwirtin aus dem Chaco, Argentinien