Ist das noch Bio?
Die neueste Statistik des Bundesinformationszentrum für Landwirtschaft zeigt: Die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe geht weiter zurück. Insgesamt sind es um die zwölf Prozent seit 2010. Doch vor allem die Details der Statistik sind wichtig: Alle Betriebsgrößenklassen bis 100 Hektar Ackerfläche pro Betrieb haben verloren. Wenn dieser Trend anhält, und davon ist auszugehen, ist offensichtlich, dass bald weniger als 50.000 Betriebe bundesweit „zukunftsfähige“ Strukturen haben, weil sie groß genug sind. Das sind kaum 20 Prozent der momentanen Anzahl aller Betriebe. Seit meinem Landwirtschaftsstudium Ende der 1980er Jahre ein Rückgang von mehr als neunzig Prozent aller Betriebe.
Diese Entwicklung hat auch ökologisch erhebliche Folgen und läuft dem Ansinnen einer Ökologisierung der Landwirtschaft diametral entgegen. Die Folgen des Strukturwandels sind unter anderem:
- Immer mehr hochspezialisierte Betriebe
- Immer mehr Technisierung und Mechanisierung
- Immer mehr Konzentration auf klimatisch bevorzugte Lagen
- Immer weniger flächendeckende Lebensmittel-Erzeugung in der Region
- Immer mehr Monokulturen
- Immer größere Felder
Dies sind die wichtigsten Begleiterscheinungen des ungebremsten Höfesterbens, und jeder einzelne Punkt hat schwerwiegende ökologische Konsequenzen. Die Entwicklung der Ackerflächengröße ist in Feld und Flur schon lange sichtbar. Die Äcker werden immer größer. Und dies ist auch im Bio-Anbau so.
In den 1980er und 1990er Jahren, gab es noch die Hoffnung, dass der Bio-Landbau das „Wachsen oder Weichen“ stoppen könnte. Eine flächendeckende und regionale Landbewirtschaftung sollte durch den Ökolandbau erhalten werden können. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Auch in der Biolandwirtschaft werden die Höfe und Felder immer größer, weil die kleineren Betriebe der Marktentwicklung nicht mehr gewachsen sind und deshalb das Hoftor für immer schließen. Die Felder pachtet gerne der Bio-Bauer in der Nachbarschaft.
Denken wir diese Entwicklung weiter, und dafür gibt es sehr gute Gründe, wird der Ökolandbau vollkommen neu definiert und steht seinerseits plötzlich in der Gefahr, steigende ökologische Kosten zu produzieren, die so nicht einkalkuliert waren. Dabei spielt nach neuesten Untersuchungen besonders die sich ständig vergrößernde Ackerfläche eine erhebliche ökologische Rolle in Bezug auf das Insektensterben. Die intensive konventionelle Landwirtschaft gilt jedoch weiterhin unbestritten als eine der Hauptursachen für das Insektensterben in Deutschland.
Für den Agrarökologen Professor Tscharnke ist aber auch der Ökolandbau nicht per se die Lösung des Problems. Der Fachmann für Strukturentwicklungen von Agrarlandschaften und ihrer Bedeutung für die lokale Zusammensetzung funktionaler Bio-Diversität sieht für viele Bio-Betriebe noch Potenzial, ihre Flächen insektenfreundlicher zu bewirtschaften.
Insekten haben mit über 33.000 Arten und rund 69 Prozent aller Tierarten in Deutschland eine herausragende Bedeutung für die Ökosysteme. Fast 50 Prozent der Insekten stehen in Deutschland auf der Roten Liste bedrohter Arten, von denen die Hälfte besonders seit Ende der 1990er Jahre starke Bestandsrückgänge erfahren haben. Bei den Tagfaltern beispielsweise sind über 60 Prozent der Arten gefährdet. Von den rund 560 Bienenarten stehen 53 Prozent auf der Roten Liste mit deutlich negativer Tendenz. Weit über 50 Prozent der Ursachen dafür sind in der heutigen Landwirtschaft zu verorten.
Die Vorteile des ökologischen Landbaus werden von Herrn Tscharnke keinesfalls in Zweifel gezogen. Die Anzahl der Insektenarten liegt um 30 Prozent höher und die Anzahl der Insekten-Individuen sogar um 50 Prozent im Vergleich zu konventionell bewirtschafteten Flächen. Besonders bedeutend sind dabei der Verzicht auf synthetische Pflanzenschutzmittel und Kunstdünger. Auch die meist etwas längeren Fruchtfolgen im Ökolandbau und der höhere Anteil zweijähriger Kulturen wie Kleegras bieten Vorteile für die Insektenpopulationen.
„Dennoch […] ist der Ökolandbau kein Allheilmittel für den Insektenschutz.“, weiß Tscharnke. Er sieht erheblichen Verbesserungsbedarf bei der momentanen biologischen Art der Landbewirtschaftung. Er kritisiert, dass bei der Bio-Zertifizierung viel zu wenig auf die Maßnahmen für den Insektenschutz geachtet würde. Er nennt die Anlage von Hecken und Tümpeln oder eine wirklich lange Fruchtfolge als wirksame Möglichkeiten gegen das Insektensterben. Außerdem beklagt er auch im Bio-Bereich einen Trend zur Intensivierung mit größeren Flächen und höheren Nährstoffeinträgen.
Noch wichtiger sei es, so Tscharnke, verstärkt auf Vielfalt und Heterogenität zu setzen. Je abwechslungsreicher die Fruchtfolge und je mehr unterschiedliche Kulturen auf der gleichen Fläche und in der Landschaft angebaut werden, desto besser für die Insekten. Bei allem hat die Flächengröße für das Vorkommen von Insekten eine herausragende Bedeutung. Die Maximalgröße liegt bei ungefähr sechs Hektar. Auf Flächen, die größer sind, fällt die Insektenzahl stark ab. Umgekehrt profitieren Insekten besonders stark davon, wenn die Flächen kleiner als sechs Hektar sind. Grundsätzlich gilt: Je kleiner die Flächen, desto mehr Insekten.
Dies alles „verteuert“ die biologische Lebensmittelerzeugung und macht sie „ineffizient“. Denn es erfordert eine Landwirtschaft, die auf möglichst kleinen Äckern eine möglichst große Vielfalt beherbergt. Also ganz im Gegensatz zum aktuellen Trend in der Bio-Landwirtschaft. Aber auch aus Sicht der wichtigsten Bio-Verbände hat dies keine Priorität.
Warum ist das so? Eine breite Diskussion wird nicht gewünscht, denn es stellt die Bemühungen der Verbandsvertreter in den vergangenen zehn Jahren sehr in Frage. Seit dieser Zeit tun die Bio-Verbände und deren Vertreter alles, um mit den ganz Großen des Lebensmittelhandels ins Geschäft zu kommen. Alle namhaften Verbände haben seither mit allen namhaften Lebensmittelkonzernen Partnerverträge abgeschlossen.
Als Bioland mit Edeka anfing zu kooperieren gab es eine heftige, aber doch recht kurze Diskussion innerhalb des Demeter-Verbandes. Schnell wurden auch hier Partnerschaften geschlossen. Die Angst war groß, den Anschluss zu verlieren.
Seither geben die mächtigen Konzerne vor, was „biologisch“ und „regional“ heißt. Und das hat nichts mehr mit kleinstrukturierter Kulturlandschaft zu tun. Nichts mit flächendeckender Landbewirtschaftung und Wertschöpfung in der Region. Produktions-Hotspots wie das Rheintal oder das Bodensee-Gebiet werden auf Bio getrimmt. Es gibt Betriebe, die auf Hunderten von Hektaren Bio-Möhren im Rheintal produzieren. Ganz zu schweigen von den „modernen“ Agrarstrukturen im Nordosten Deutschlands. Auch auf Bio-Äckern mit Dutzenden von Hektaren am Stück hat der Schmetterling oder die Biene keine Überlebenschance. Und Rapsflächen oder Maisflächen in dieser Größenordnung haben kaum noch eine höhere ökologische Wertigkeit als eine asphaltierte Straße. Es sind aus Sicht der Insekten überlebensfeindliche grüne Wüsten.
Ein Freund, mit dem ich Mitte der 1980er Jahre eine landwirtschaftliche Ausbildung gemacht habe und der nach einem Agrarstudium über 25 Jahre bei verschiedenen Demeter-Verbänden gearbeitet hat, antwortete mir auf die Frage, warum er denn mit Mitte 50 beschlossen habe, den Demeter-Verband nach Jahrzehnten zu verlassen und sich als Berater selbstständig zu machen, Folgendes: „Über Jahrzehnte hinweg wurde die Lücke zwischen den Hochglanzbroschüren des Verbandes und der tatsächlichen Demeter-Landwirtschaft immer größer. Die Darstellung der Wirklichkeit hatte immer weniger mit der auf den Höfen vor Ort zu tun. Da wollte ich nicht mehr mitmachen und verließ die Demeter-Familie.“
Eine ernüchternde Bilanz. Und auch die anderen Bio-Verbände sind auf dem Weg in eine hochspezialisierte, hochtechnisierte und energieintensive Bio-Landwirtschaft, die den Auftrag hat, Bio für alle zu einem günstigen Preis anzubieten. Und schon wieder wird damit begonnen, einen Teil der Kosten in die Natur auszulagern. Mit erheblichen Folgen für Flora und Fauna. Zunehmend leider auch in der Bio-Lebensmittelwirtschaft. Gibt es einen Ausweg?
Natürlich!
Es gibt Zusammenschlüsse, wie beispielsweise die Xäls eG. Im Marktladen arbeiten wir schon seit fast 30 Jahren an der Umsetzung regionaler Wertschöpfung. Mit über 60 vielfach kleinen Lieferanten arbeiten wir genau an dieser alten und neuen Vision eines Bio-Regionalen Zukunftskonzepts. Vor zwei Jahren haben wir uns gemeinsam mit anderen regionalen Akteuren aus den Bereichen Landwirtschaft, Lebensmittelhandwerk, Handel und Verbrauch zur Xäls eG zusammengeschlossen, um nicht tatenlos zuzusehen, wie die großen Lebensmittelkonzerne auch den Bio-Regionalen Markt übernehmen. Bitte helfen Sie mit, unsere regionale Zukunft in die eigenen Hände zu nehmen. Nur gemeinsam schaffen wir es, auch in Zukunft selber zu bestimmen, was uns auf die Teller kommt. Werden Sie Genoss*in bei Xäls eG.