Die neuen Paten
Der Begriff „Greenwashing“ bedeutet sinngemäß, sich einen grünen Deckmantel umzuhängen. Die so bezeichneten medialen Bemühungen eines Konzerns dienen dazu, sich ein umweltfreundliches und verantwortungsbewusstes Image in der Öffentlichkeit aufzubauen. Besonders gut dafür geeignet sind die Themen Regionalität und Bio-Lebensmittel.
In diesem Bereich haben die großen Lebensmittelkonzerne in den letzten Jahren ordentlich was rausgehauen, hier steht mehr als genug grünes Potential zur Verfügung, um sich öffentlich zu profilieren. Ein echter Coup in Sachen Imagepolitur waren die Partnerschaften mit den großen Bio-Anbauverbänden, davon wurde auch die Naturkost-Szene kalt erwischt. Allerdings gelten nach wie vor die Regeln des konventionellen Handels, wobei auch die Preisbildung keine Ausnahme macht.
Von einer weißen Weste unter ihrem grünen Mäntelchen sind die großen Handelskonzerne laut einer neuen Studie von Oxfam vom Februar 2021 mit dem Titel „Knebelverträge im Lebensmittelhandel – wie Supermarktketten Lieferanten unfaire Handelspraktiken und Dumpingpreise aufzwingen“ dementsprechend noch meilenweit entfernt. Erstmals ist es gelungen, durch die Zusicherung absoluter Anonymität eine Liste zusammenzustellen, die mehr als 100 Punkte „Rabatt- und Konditionsanforderungen“ innerhalb der Branche umfasst. Aus Angst vor Repressionen ist bisher noch nie etwas in so konkreter Weise durchgesickert. In keinem Wirtschaftssektor existiert eine derartige Machtkonzentration wie im Lebensmittelsektor.
Die Kartellbehörde geht laut eigener Einschätzung davon aus, dass durch die Übernahme von ehemaligen real-Standorten die Verhandlungsmacht der „Big Four“ (insbesondere von der Kaufland/Schwarz-Gruppe sowie Edeka) gegenüber den Lieferanten und Herstellern weiter zunehmen wird. Gegenüber dem Bundeskartellamt äußerten die betroffenen Gruppen die Befürchtung, dass „die zunehmende Konzentration des deutschen Lebensmitteleinzelhandels und die steigende Verhandlungsmacht dieser Unternehmen, die Preiskämpfe und Qualitätsverschlechterungen begünstige. Sie fürchten eine immer höhere Abhängigkeit von den führenden LEH-Unternehmen.“
Oxfam hat die Ergebnisse ihrer anonymen Befragungen in einer „Knebelliste“ zusammengefasst. Ziel ihrer Arbeit ist, das System der unfairen Handelspraktiken offenzulegen und seine Dimension deutlich zu machen. Faire Lieferbeziehungen, so ihre Auffassung, sind zentral, um echte Verbesserungen für die Plantagenarbeiter*innen und kleinbäuerlichen Erzeuger*innen zu bewirken. Sie stellen nach Meinung der Autor*innen einen integralen Bestandteil der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten von Supermärkten und eine wichtige Voraussetzung für die Achtung von Menschenrechten im Ausland dar.
Es ist wohl davon auszugehen, dass Tesco (GB), Carrefour (F), Walmart (US) und wie sie alle heißen, ähnliche Geschäftspraktiken pflegen. Das würde bedeuten, dass der Lebensmittelhandel zu einem erheblichen Teil auf Basis der Ausbeutung von Menschen profitabel gemacht wird. Und wie anhand des Auszugs der 100 Punkte umfassenden Oxfam-Liste deutlich wird: auch die deutschen Großkonzerne im Lebensmittelhandel nutzen ihre Marktmacht skrupellos aus.
Ein »worst of« der skrupellosen Praktiken
Beteiligung an Spendenaktionen
Verpflichtende Beteiligung an Spendenaktionen, mit der sich der Käufer in der Öffentlichkeit als sozial gibt.
Rückwirkende Änderungen der Konditionen
Nach Vertragsabschluss ändert die Supermarktkette einseitig und rückwirkend die Einkaufskonditionen und fordert niedrigere Preise oder zusätzliche Zahlungen.
Kundendialograbatt
Mit dieser pauschalen Zahlung werden Hersteller für das Payback-Karten-System der Supermarktketten zur Kasse gebeten. Der Lieferant hat allerdings keinen Einfluss auf die Produktauswahl. Das heißt: Es kann also auch sein, dass seine Produkte gar nicht beworben werden und er trotzdem zahlt.
Transportverpackungspauschale
Die Kosten für die Entsorgung von Verpackungen wie Pappkisten oder große Kartons, in denen die Ware zum Supermarkt transportiert wird, werden dem Lieferanten mit 0,2 bis 0,4 Prozent des Warenwertes in Rechnung gestellt. Die Entsorgung der Umverpackungen der Ware wird ohnehin über den „grünen Punkt“ vom Hersteller gezahlt.
Open Book-Forderung
Der Kunde verlangt, dass der Lieferant einseitig seine Kalkulation offenlegt (und verweist dabei auf Vertrauen und Transparenz). Wenn der Lieferant das tut, benutzt der Kunde das gegen ihn, indem er behauptet, dass „da noch Luft“ sei, dass einzelne Komponenten der Kalkulation in diesem Falle nicht gelten würden oder dass der Lieferant noch etwas einsparen könnte.
Ausgleichsrabatt
Ein vermeintlicher Nachteil für den Händler soll ausgeglichen werden, beispielsweise wenn die Abverkaufszahlen hinter der Erwartung des Händlers liegen.
Die komplette Liste finden Sie hier: www.dml.onl/53