Lebensmittel dauerhaft teuer!
Sie haben mächtig Eindruck gemacht auf die politischen Entscheidungsträger! Mit ihren großen Traktoren und ihren kilometerlangen Protestkorsos haben sie eine betriebsame Hektik in Berlin ausgelöst. Grund für den Ärger der Bauern waren u. a. die drohende neue Düngeverordnung. Wobei „neu“ in diesem Fall relativ ist. Im Jahre 2000, also vor 20 Jahren, hat sich die Bundesregierung zur Einhaltung der sogenannten EU-Wasserrahmenrichtlinie verpflichtet, welche laut Umweltbundesamt
„( … ) zur Schaffung eines Ordnungsrahmen für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik“ beitragen soll. Sie soll das Regelwerk für die Wasserpolitik innerhalb der EU vereinheitlichen und entsprechende Maßnahmen der Mitgliedsstaaten stärker auf eine nachhaltige und umweltverträgliche Wassernutzung lenken. Aber alle seither ergriffenen Maßnahmen reichen bei weitem nicht aus. Jetzt droht Brüssel mit Strafzahlungen in Höhe von 800.000 € – täglich. Ministerin Klöckner steht mit dem Rücken zur Wand. Es ist nichts Neues, dass die Ministerin keinerlei Willen zeigt, das marode Agrarsystem zu ändern und sie eine willfährige Gehilfin der Agrarlobby ist. Und Ende des vergangenen Jahres wurde von ihrem Ministerium in Brüssel auch noch der „Referentenentwurf zur Änderung der Düngeverordnung“ eingereicht.
Die Brüsseler Beamten sind seit Jahren genervt von der Hinhaltetaktik der Deutschen. Und obwohl die Situation hinlänglich bekannt ist, scheuen sich Bauernverband und Politiker nicht, von Frau Klöckner Änderungen am Entwurf einzufordern. Die Bauernverbände bezeichnen die Vorgaben als „praxisfremde Gängelei“. Damit verkennen sie vollkommen die Lage.
Die Realität wird in einer Stellungnahme des Umweltbundesamtes im Februar diesen Jahres deutlich: „( … ) bei der Bewertung des Grundwasserzustands nach EU-Wasserrahmenrichtlinie/GWRL sind 27,1 % der 1200 deutschen Grundwasserkörper wegen der Überschreitung des Schwellenwertes von 50 mg Nitrat je Liter in einem schlechten chemischen Zustand.“ (s. Grafik).
Es ist unstrittig, dass die hohen Nitratgehalte unmittelbar mit der Stickstoffdüngung zu tun haben. Es wird schlichtweg viel zu viel gedüngt auf deutschen Äckern, egal ob bei der Futtermittelerzeugung oder dem Anbau von Gemüse für den menschlichen Verzehr. Diese Übermengen werden nur zu einem Teil im Boden gespeichert, der größte Teil wird ausgespült bzw. entweicht in Form von Lachgas, Stickstoff und Ammoniak. Der Stickstoff-Überschuss im Boden lag im Jahr 2013 bei 97 kg/ha. Das bedeutet einen Rückgang um 20 % seit 1993, allerdings ist der Weg zum selbst gesteckten Ziel von 70 kg/ha bis 2030 noch weit. Vor allem, da 2015 der Überschuss wieder auf über 100 kg/ha anstieg. Neuere Zahlen liegen aktuell nicht vor.
Klöckner wehrte sich aber vor hunderten von Bauern, dass sie Forderungen aus der Landwirtschaft und Vorgaben aus Brüssel ignoriere, da sie diese nicht ernst nehmen könne. „Das ist dummes Zeug“, sagte sie unter Buhrufen des Publikums. In diesem Fall droht, dass für ganz Deutschland seitens der EU-Kommission eine Düngerreduzierung von 20 Prozent verordnet wird – nicht nur für die roten Gebiete, in denen die Nitratgrenzwerte überschritten werden.
Das eiserne Beharren auf alten Agrarstrukturen kommt uns dabei jetzt schon teuer zu stehen. Gut 6,5 Milliarden Euro EU-Agrarsubventionen werden jährlich allein in Deutschland ausgezahlt. Fast 80 % der Mittel sind Direktzahlungen, gestaffelt nach der Größe der Betriebe. Es werden also mit öffentlichen Mitteln genau die Betriebe gefördert, die die größten ökologischen Folgekosten verursachen. Z.B. sind die Nitratwerte in keinem Bundesland flächendeckend so hoch wie in Niedersachsen. Niedersachsen bekommt nach Bayern die zweithöchsten Agrarsubventionen. Voller Stolz schreibt das Landesministerium: “Mit einem Produktionswert von 12,6 Milliarden Euro ist Niedersachsen das Agrarland Nummer eins in Deutschland. Den größeren Anteil hat daran die Tierhaltung. Wertmäßig die wichtigsten landwirtschaftlichen Erzeugnisse sind Milch, Schweine, Geflügel und Eier.“ Es werden bereits jedes Jahr Steuergelder in Milliardenhöhe für eine Landwirtschaft vergeudet, die ständig die ökologischen Kosten vergrößert, und die Ministerin kündigte Anfang des Jahres eine weitere, milliardenschwere Unterstützung für die Bauern an, um die Folgen einer verschärften Düngeverordnung abzufedern.
Und die Situation ist eigentlich noch viel dramatischer. Ende 2019 veröffentlichte die Boston Consulting Group eine Studie mit dem Titel „Die Zukunft der deutschen Landwirtschaft nachhaltig sichern“. In dieser Studie werden u. a. die tatsächlichen Kosten der Lebensmittelproduktion in unserem Land ermittelt, die zu 90 % externalisiert werden. Das bedeutet, dass nur ein sehr kleiner Teil der tatsächlich anfallenden Herstellungs- und Vertriebskosten unserer „modernen“ Lebensmittelwirtschaft durch den Kaufpreis ausgeglichen wird. Der Großteil der Nebenkosten in Form öko-sozialer Kollateralschäden wird z. B. über ansteigende Aufwendungen für die Wasseraufbereitung oder die Kosten für den Bau und Erhalt eines engmaschigen Straßennetztes gesamtgesellschaftlich beglichen. „Die resultierenden externen ökologischen Kosten der Landwirtschaft belaufen sich heute auf rund 90 Milliarden Euro im Jahr – davon fallen rund 50 Milliarden Euro für den Verlust von Ökosystemleistungen an. Die externen Kosten sind damit mehr als viermal so hoch wie die gesamte Bruttowertschöpfung des landwirtschaftlichen Sektors. Zusätzliche Kosten von rund 10 Milliarden Euro jährlich entstehen durch EU-Direktzahlungen, die Agrarsozialpolitik, Subventionen oder mit der Landwirtschaft zusammenhängende Verwaltungsleistungen. In Summe fallen also jedes Jahr rund 100 Milliarden Euro Kosten für die Landwirtschaft an, die von der Gesellschaft getragen und in der Kostenrechnung der Landwirte nicht berücksichtigt werden ( … )“. Also auch wenn wir uns weigern, mehr Geld für Lebensmittel auszugeben: den Preis dafür bezahlen wir letztendlich trotzdem. Nur die Kostenverursacher, die konventionelle Lebensmittelwirtschaft muss dafür nicht geradestehen.
Ein Beispiel: Legt man die durchschnittlichen jährlichen Ausgaben für Lebensmittel von knapp 4.000 € pro Haushalt zugrunde, und multipliziert man diese mit der Anzahl der Haushalte von 41 Millionen, so errechnen sich im Jahr 164 Milliarden Euro, die an der Ladentheke von uns allen zusammen ausgegeben werden. Aber tatsächlich legen wir in Form der externen Kosten 100 Milliarden mehr auf den Tisch! Damit erhöhen sich die Ausgaben für Lebensmittel um 61 %!
Anfang des Jahres gab es hierzulande eine heftige öffentliche Diskussion über die niedrigen Lebensmittelpreise. Selbst die Kanzlerin ließ die Bosse der großen Handelskonzerne im Kanzleramt antreten, um diese aufzufordern, ihre Marktmacht nicht allzu sehr auszunutzen und den Bauen „faire“ Preise zu bezahlen. Ist das nicht herzig? Durch teils heftige Reaktionen machten die Angesprochenen deutlich, dass es auf gar keinen Fall möglich sein sollte, durch politische Maßnahmen „in den Markt“ einzugreifen. Sie prognostizierten den Untergang der „sozialen Marktwirtschaft“.
Rewe-Chef Lionel Souque denkt außerdem an die Einkommensschwachen im Land. „In Deutschland leben rund 13 Millionen Menschen in Armut oder an der Armutsgrenze“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Günstige Lebensmittelpreise ermöglichen diesen Menschen eine gesunde und sichere Ernährung.“ Damit macht er Landwirtschaftspolitik zu einem Bestandteil der Sozialpolitik. Kurzgefasst: Wir müssen die ökologischen Folgen unserer Lebensmittelwirtschaft hinnehmen, um für die Armen der Bevölkerung „bezahlbare“ Nahrungsmittel zur Verfügung stellen zu können, da dies anders nicht zu ermöglichen ist. Dabei bleibt dann allerdings immer noch die Frage offen, wer denn die Kollateralschäden dieser Lebensmittelproduktion begleicht. Und mit wessen Geld.
Wenn Herr Souque und seine Kollegen diese Kosten übernehmen wollen, nur zu! Wir würden das sehr begrüßen.